September 2012: Zoo Rapperswil

Natürlich gibt es neben Elefanten auch andere Tiere im Zoo. Zum Beispiel die Capybaras, die seit Anfang Jahr das Gehege von Patmas ehemaligem Liebling, dem verstorbenen Nashorn Bully, bewohnen. Sie scheinen sich inzwischen gut akklimatisiert zu haben und sind für die Besucher besser sicht- und erlebbar geworden. In letzter Zeit sitzen sie öfters nebeneinander vor dem stählernen Elefanten-Verbindungstor und scheinen starren Blickes auf etwas zu warten. Hin und wieder steht das grössere, ältere Tier auf und beschnuppert das Tor. Wenn sie sich schliesslich wieder entfernen, wirken sie enttäuscht.

Dazu eine allgemeine Anmerkung: Ich bin mir bewusst, dass ich hier ständig über Tiere spreche und schreibe, aber auch Tiere haben ein Hirn. Sicher ist, dass wir nicht wirklich wissen, was den Tieren jeweils durch den Kopf geht. Ebenso sicher ist Neugier eine treibende Eigenschaft im oft eintönigen Zoo-Alltag. Wir mögen mit unseren Interpretationen also weit danebenliegen. Doch was wär das Leben, wenn’s nichts zu erzählen gäbe, wenn den Menschen etwas wie Einbildungskraft oder Einfühlungsvermögen fehlte? Doch wenden wir uns wieder der Szene zu:

An diesen September-Tag erschallt aus dem Nichts ein metallenes Dröhnen. Elefantendame Patma steht auf der anderen Seite des besagten Tores und wirkt trotz eingeschränktem Bewegungskreis eher unruhig. Hat SIE diesen ungewohnten Lärm verursacht? Noch während ich darüber sinniere, haut Patma ihren Rüssel schwungvoll nach vorne gegen die massive Abgrenzung. Zwar sitzen die Capybaras gerade nicht hinter dem Tor, aber man sieht ihnen an, dass sie das Geräusch auch gehört haben. Hat Patma wieder Sehnsucht nach einer ausser-elefantischen Freundschaft? Und was geht den biberähnlichen Schweinen durch den Kopf? Oder ist Patma frustriert, zum Beispiel weil die Gelenke wieder mal schmerzen? Oder ist alles einfach Zufall? Mal ehrlich: Elefanten, vor allem die nicht so von Hormonen gesteuerten Damen, sind eigentlich umgängliche Wesen. Allerdings liegen ihnen Federlinge wie Hühner, Enten und Spatzen nicht so, die verscheuchen sie gerne. Da Elefanten eher kurzsichtig sind, können sie kleinere oder blitzschnelle Tiere nicht so gut einschätzen. Das wird auch der Hauptgrund für das Problem mit den Mäusen sein…

Apropos Spatzen: Davon gibt’s nicht nur im Kinderzoo viele. Spatzen seien nichts Besonderes? Klar, sie sind hier sicher verbreiteter als die Rüsseltiere. Und richtige Zootiere sind diese gefiederten „Zoo-Eindringlinge“ ja auch nicht. Doch sie fallen auf: Durch ihre frechen Bettelversuche und ihre wagemutigen Flugmanöver - knapp am Kopf vorbei. Heute haben wir’s uns unter dem mächtigen Sonnenschirm des „Elefanten-Sitzplatzes“ gemütlich gemacht, als ein besonders furchtloser Piepmatz unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht. An diesem Tag verkauft der Zoo statt Popcorn-Futter versuchshalber faserreichere Nahrung. Gnadenloses Schicksal, welches diesen jungen Vogel trotzdem fast an einem Popcorn ersticken lässt? Vor unseren erschreckten Augen beginnt der scheinbar früh auf sich gestellte Vogel, den Hals, ja seinen ganzen Körper in die Luft zu recken. Dabei schaut er verzweifelt, kippt rück- und seitwärts. Als diese sichtlich unfreiwillige Uebung sich wiederholt, beugt sich mein Mann entschlossen nach unten und massiert Hals- und Brustbereich des winzigen Körpers leicht. Schnell ist ein Fortschritt zu sehen, doch der Spatz lässt immer noch geschockt alles mit sich machen, kippt gar wieder seitlich weg. Ein Besucher meint, seine Tochter habe ein auswärts gekauftes Popcorn fallen lassen, und dieser träge, zutrauliche Spatz habe sich darauf gestürzt. Das Schlimmste scheint inzwischen überstanden, doch er hüpft immer noch etwas zu ruhig herum. Dabei ruht er sich ausgerechnet da aus, wo ständig Kinder durchrennen. Schliesslich schafft er’s, den kurzen Weg zu seinen bei den Alpakas versammelten Kollegen zu fliegen. Sogar von weitem fällt er im Spatzenschwarm mit seiner unbeholfenen Art gleich auf. Wir hoffen, dass er inzwischen so lebendig wie die anderen geworden ist. Zurück zu unseren Hauptdarstellern.

Sumatra alias „Sumi“ ist diejenige altehrwürdige Elefantin, welche ihre Allzweck-Trompete nicht mehr anheben kann. Auch ist typisch für sie, dass sie unsere Kameras zugleich neugierig und überaus skeptisch betrachtet; als wären wir Ausserirdische mit einem zusätzlichen Auge. Wenn sie sich bei Gelegenheit nähert, wahrt sie meist einen gewissen Respekt-Abstand. Das sieht dann so aus: Publikum aus mittlerer Entfernung ins Visier nehmen, Hinterbeine überkreuzen, Kopf senken. Warten, Hinterbeine entkreuzen, Schritt vor. Kopf wieder hoch, unentschiedenes vor- und zurückschwanken. Zwei Schritte vor, Blick stets geradeaus zum beobachteten Objekt. Kopf hochheben und mit den eher kurzsichtigen Guckern das Zielobjekt direkt anstarren. Dann steht sie da, zwei Meter entfernt, beobachtet, steht da, und beobachtet, und steht da, wartet mit ihren taxierenden Blicken einfach mal ab. Bis sie irgendwann genug davon hat und rückwärts gehend in ihre Ausgangsposition zurückparkiert. Und was machen wir währenddessen? Schauen, beobachten, Bein entlasten, Bein belasten, das Zielobjekt direkt anstarren. Was aber ganz sicher ist: Dass ich nicht beginnen werde, mich wie der Elefant einzusanden. Das übernahm an diesem Tag Sumatra für mich (hust hust!).

Kontakt zu den mächtigen Damen hat man besonders bei den täglich zwei offiziellen Fütterungen. Getrennt von einem Graben ragen die fünf Hungrigen wie ein Monument vor dem begeisterten Publikum auf und strecken ihre muskelbepackten triefenden Greiforgane aus. Dankbar werden die bereitgestellten Aepfel und Karotten den Tieren verfüttert, noch dankbarer von diesen angenommen. Dankbar?! La Grande Dame Patma nimmt die Karotte, ab ins Maul damit, Rüssel postwendend retour. Ein Apfel. Zögernd nimmt sie ihn mit der Rüsselspitze an, zögernd auch der Weg Richtung Backenzähne. Auf halbem Weg lässt sie den Apfel fallen. Altersschwäche? Schnell ist der Rüssel wieder da wo Nachschub wartet. Eine Karotte. Tadellose Annahme, tadellose Verwertung. Nächstes bitte! Ein Apfel? Dasselbe Spiel wie zuvor: Fast schon gelangweilt, gar leicht genervt, lässt Patma das Früchtchen auf halbem Weg in den Graben plumpsen. Nachdem wir dieses Spiel an mehreren Tagen beobachten konnten, fragten wir uns, ob Patma vielleicht mal einen Wurm zuviel erwischt hatte. Ein paar Besuche später ist der Spuk aber vorbei und wir stellen fest, dass sie auch bei den Aepfeln wieder herzhaft zugreift. Wie heisst es so schön: "5 Portionen Früchte und Gemüse am Tag. Bei Elefanten bei Bedarf etwas mehr!"